Medica Mondiale: Interview mit Monika Hauser

Medica Mondiale: „Den Frauen eine Zukunft geben“

medica1Die Ärztin Monika Hauser aus Laas im Vinschgau über die Organisation „medica mondiale“, die 1993 von ihr gegründet wurde, über vergewaltigte und gefolterte Frauen in Kosova und Afghanistan und wie man kriegstraumatisierten Frauen helfen muss.

Tageszeitung: Frau Hauser, Sie haben 1993 gemeinsam mit bosnischen Frauen das Therapiezentrum „Medica „Zenica“ gegründet, das sich um vergewaltigte und gefolterte Frauen und Mädchen im zentralbosnischen Zenica kümmert. Das war damals mitten im Krieg, trotz Granaten, fehlender Infrastruktur und mit sehr wenig Geld.
Nun ist aus dieser spontanen Hilfsaktion eine internationale Organisation geworden, die sich für kriegstraumatisierte Frauen weltweit einsetzt und sich „medica mondiale“ nennt. Was war ihre Triebfeder?

Monika Hauser: Nach meinem Studium in Innsbruck habe ich den Facharzt für Gynäkologie in Köln gemacht und ich bin sehr oft mit Frauen in Kontakt gekommen, die mehr als fünfzig Jahre danach, immer noch nicht über ihre schrecklichen Erlebnisse reden konnten, die ihnen während des Zweiten Weltkrieges widerfahren waren. Ich habe feststellen müssen: da sind Frauen zu mir gekommen, die haben Vergewaltigungen von damals und das ganze Leid fest in sich eingeschlossen. Und dieser Schmerz hat sich nachhaltig und äußerst negativ auf ihr gesamtes Leben und auch das ihrer Kinder ausgewirkt. Mir wird oft gesagt, dass die islamische Gesellschaft so ihre Probleme damit hat, doch ich habe festgestellt, die fundamentalistische christliche Gesellschaft hat sie mindestens genauso. So gab es während des Zweiten Weltkrieges für Frauen oft gar keine andere Möglichkeit, als sich zu prostituieren, als einzige Chance, sich und die Kinder überhaupt durch diese Hölle zu bringen, doch darüber reden haben diese Frauen niemals können. Die Geschichtsschreibung kennt dieses Thema auch nicht, weil die Geschichtsschreibung von Männern gemacht wurde. Aber ohne Frauen geht in dieser Gesellschaft rein gar nichts, denn sie sind es, die neues Leben hervorbringen. Ich sehe in den heutigen Kriegsgebieten, dass sich die Geschichte wiederholt, in Bosnien, in Afghanistan. Die Frauen können einfach nicht über erfahrenes Leid sprechen. Da wollen wir entgegenwirken.

Doch wie gewinnen Sie eine Frau, über die gleich mehrere Männer wie die Tiere hergefallen sind und die das Geschehene nicht einmal äußern können.

Das ist der springende Punkt. Das Nicht-Äußern können. Über Folter und Mord sprechen die Frauen, über sexualisierte Gewalt reden sie meistens nicht – aus Scham, aus Angst und weil die Schuld einer Vergewaltigung in patriarchalischen Kulturkreisen oft auf sie selbst zurückfällt. Unser zentrales Anliegen bei der Unterstützung dieser Frauen ist die Verbindung von medizinischer und psychosozialer Hilfe, juristischer Rechtsberatung sowie politischem Engagement. Wir möchten auch sofort und langfristig helfen, denn sexualisierte Gewalt ist eine grausame Ursache für die Entstehung von Kriegstraumata. Die Vergewaltiger im Krieg sind Soldaten, Paramilitärs, vielleicht sogar Nachbarn und was das Schlimmste ist: Die militärischen und politischen Machthaber billigen Vergewaltigung, oft ermutigen sie ihre Soldaten sogar dazu. Indem wir nun medizinische und psychosoziale Hilfe in einem empathischen Umfeld miteinander verbinden, helfen wir den Frauen scham- und angstfrei über ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt sprechen zu lernen. Außerdem sind wir dabei, das Thema in der Gesellschaft zu enttabuisieren, damit es den Frauen leichter fällt, darüber zu reden. Denn nur wenn die Frauen über ihre Erlebnisse reden können, können ihre Seelen und Körper langsam heilen. Zudem sind auch sehr viele Männer selber vom Krieg traumatisiert und üben häusliche Gewalt aus, weil sie nicht über ihre eigenen schlimmen Erlebnisse hinwegkommen. Leider lernen dann die männlichen Jugendlichen vom schlechten Vorbild ihrer Väter. Das ist dann wie ein Pulverfass und erinnert mich an die palästinensischen Jugendlichen. Wir werden oft gefragt, warum wir eigentlich nicht bei den Männern anfangen, doch wir focusieren auf die Frauen, die Männerarbeit müssen Männer selber machen. Leider haben wir auch feststellen müssen, dass nicht nur Frauen in Afghanistan, sondern auch vor unserer Haustür, in Kosova also, immer noch ohne Rechte leben. Der soziale Kodex, der sogenannte Kanu, regelt das Zusammenleben. So hat eine Witwe etwa alles was ihr geblieben ist, an die Schwiegerfamilie und ihre eigenen Kinder abzugeben, das sind sehr harte Regeln, die das Leben dieser Frauen schwer machen. Viele junge Frauen rebellieren jetzt auch dagegen, doch draußen in den Dörfern ist dies äußerst schwierig. So kommt es immer wieder vor, dass wir dem Dorfältesten erklären müssen, dass es zum Beispiel Sinn macht, wenn junge Mädchen in die Schule gehen. Das ist natürlich fast ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Abhängigkeit der Frau ist ja sehr erwünscht. Wir müssen praktisch daran gehen, festgesetzte und traditionelle gesellschaftliche Strukturen aufzubrechen. Und hinzu kommt immer noch die enorme finanzielle Not dieser Menschen.

Es sollen aber ziemlich viele Gelder nach Kosova geflossen sein?

Das glauben viele, doch ich kann Ihnen sagen, dass die ganzen versprochenen Gelder aus Brüssel nicht direkt bei den Menschen angekommen sind. Wenn es so wäre, müsste dies nach so langer Zeit endlich sichtbar werden. Die Menschen sind sehr frustriert, viel zu viele leben immer noch übereinandergekastelt in sehr enge Wohnräume. Die wirtschaftliche Not ist einem politischen Pulverfass gleichzustellen. Ich sage nur: Die EU tut hier völlig falsch, sie gibt Gelder zum Teil nicht frei und der Rest bleibt irgendwo stecken.

So ist ihre primäre Aufgabe die Bewusstseinsbildung?

Auf jeden Fall, als politische Geschäftsführerin der Organisation, sitze ziemlich viel Zeit in meinem Büro in Köln und betreibe weltweite Aufklärungsarbeit, spinne Netzwerke und koordiniere…

..doch vor ein paar Tagen sind sie aus Afghanistan zurückgekehrt. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Ich muss zugeben, ich bin schlichtweg entsetzt. Ich habe in Afghanistan schwerpunktmäßig den Start des „medica-mondiale“ -Projektes mit exilafghanischen Ärztinnen begleitet und mir ein Bild vom Zustand der medizinischen Versorgung in Kabul gemacht. Mein Fazit ist mehr als ernüchternd: Der Zustand der Kliniken ist katastrophal, die Ausstattung und der Standard der medizinischen Versorgung spotten jeder Beschreibung. Auch angesichts der in vielfacher Millionenhöhe versprochenen internationalen Hilfe kann ich diese Bilder kaum fassen. Schlimm ist auch, dass, wer Geld hat, sowieso in eine der unzähligen Privatkliniken geht, in denen unfähige Pseudo-Fachärzte vergleichsweise viel Geld machen. Die Frauenklinik in Rabia Balkhi etwa ist ungefähr das Schlimmste, was ich je gesehen habe. Minimalste Ausstattung, unmotiviertes, gleichgültiges bis apathisches Personal bei einem riesigen Einzugsgebiet und der ärmsten Klientel überhaupt. Die Ärztinnen und Ärzte verdienen rund 20 US-Dollar monatlich, wovon natürlich niemand leben kann. Sie sind durchweg selbst traumatisiert, wirken alle depressiv und die meisten haben eine völlig lethargische Grundhaltung. So beklagen sie, dass 30-40 Prozent der Patientinnen nicht krank wären, nur unterernährt und einfach irgendwas von ihnen wollten. In der Allgemeinen Ambulanz für Frauen sehen täglich drei bis fünf FachärztInnen zwischen 9-13 Uhr rund 70 Klientinnen mit allen möglichen Symptomen. Konkret bedeutet dies: Im völlig überfüllten Vorhof zur ebenerdigen Ambulanz warten etwa 30 bis 40 Frauen, alle in der blauen Burka. Und ein alter Mann bewacht die schmale Eingangstür zur Ambulanz, einem engen, stickigen Raum von etwa acht mal drei Metern.

Sie haben in Afghanistan jetzt eine ständige Vertreterin ihrer Organisation

Ja, unsere Ärztin Saliha Ferhat wurde hier sehr gut aufgenommen. Im Krankenhaus, in dem sie sich momentan aufhält, sind die Stimmung und die hygienischen Zustände gleich viel besser, auch weil der Direktor Maruf Nadin viel achtsamer und motivierter ist. Er sagt, seit sechs Monaten hätten sie keine internationale Hilfe mehr erhalten. Die Organisation “Save the children” sei die Einzige, die sie gelegentlich unterstützte. Er sei jetzt sehr froh, dass Saliha da ist, so sehe das auch das gesamte Personal – für Fortbildung, für konkrete und moralische Unterstützung. Er bestätigte, dass die psychosozialen Probleme der Frauen gigantisch seien. Saliha berichtet von vier Selbsttötungs-Versuchen von Frauen, seit sie hier ist. Bei Nachfrage verneinen diese sexualisierte Gewalterfahrungen, sie sagen sie hätten einfach nur mit Familienangehörigen Streit gehabt. Eine 12-jährige kam mit gebrochenem Arm, es war bald klar, dass sie sich beim Vergewaltigungsversuch ihres 20jährigen „Ehemannes“ gewehrt hatte. Die Eltern wollten sie unbedingt verheiraten. Dann wurde mir auch davon berichtet, dass sehr junge Mädchen auch mit sehr alten Männern verheiratet werden, diese aber natürlich nicht mehr fruchtbar sind. Dann nehmen sich diese 80jährigen Männer neue junge Frauen, in der Hoffnung, dass die ihnen Söhne gebären. Alle wüssten hier von vielen Vergewaltigungen während der Taliban – Zeit, aber niemand würde darüber sprechen. Aktuell sei momentan, dass Eltern mit Mädchen oder jungen Frauen in die Kliniken kämen und nach einer Hymenrekonstruktion fragen, was doch klar belegt, dass die meisten unter den Taliban vergewaltigt worden sind.

Interview: Christine Losso

Foto: Monika Hauser: Ich bin über die Zustände in Afghanistan entsetzt
Zweites Foto: Monika Hauser in Kabul: Die Frauenklinik in Rabia Balkhi etwa ist ungefähr das Schlimmste, was ich je gesehen habe
Die Organisation „medica mondiale e.V“ wird von der Laaser Ärztin Monika betreut. Hauser ist Gynäkologin und lebt in Köln. Auch in Südtirol kann für die Organisation gespendet werden. Monika Hausers Mutter überwacht die Spendengelder und leitet sie weiter: Raika Laas – Stichwort „medica mondial e.V“ c/c 030001-872-4

Wer ist Monika Hauser

(cl) Monika Hauser wurde 1959 in St. Gallen in der Schweiz geboren, wo ihre Eltern, die aus Laas stammen, gearbeitet haben. Sie ist in der Schweiz aufgewachsen und Laas wurde ihr erst sehr viel später, als ihre Eltern zurückgekehrt sind und sich dort ein Haus gebaut haben, zur zweiten „Heimat“. Monika Hauser hat in Innsbruck und Bologna Medizin studiert und ihre Facharztausbildung als Gynäkologin in Köln absolviert. Wenn ich nach Laas komme, wird mir bewusst, wie sehr ich die Berge und Südtirol vermisse“, sagt sie. 1993 hat Hauser die internationale Organisation „medica mondiale“ gegründet und arbeitet seither als deren Geschäftsführerin- weltweit. Monika Hauser ist verheiratet und hat einen sechsjährigen Sohn: Luca.

Zitat: Die Geschichtsschreibung kennt das Thema der vergewaltigten Frauen während der Kriege nicht, weil die Geschichtsschreibung von Männern gemacht wurde.

Die militärischen und politischen Machthaber billigen Vergewaltigung, oft ermutigen sie ihre Soldaten sogar dazu.

Ich sage nur: Die EU tut hier völlig falsch, sie gibt Gelder zum Teil nicht frei und der Rest bleibt irgendwo stecken. Sehr viele Männer sind immer noch selber traumatisiert vom Krieg und können

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