Ein Tropfen im Meer
Tageszeitung Mitarbeiterin Christine Losso hielt sich im Mai erneut in Indien auf, um den Bau eines Waisenheimes für Tsunamikinder, das mit Südtiroler Gelder finanziert wird, mit zu erleben. Eine Reportage aus Cochin, der Hauptstadt von Kerala. Dort hatte der Tsunam 10.000 Tote gefordert.
„Der Herrgott ließ ein Stück Scheiße fallen und nannte es Kalkutta“, sagte einst Schriftstellergenie Günther Grass über die riesige Metropole am Ganges und dieser verachtende Ausspruch könnte wohl auf ganz Indien übertragen werden, wenn…. ja, wenn da nicht auch das andere Indien wäre. Das liebenswerte, spirituelle, lichtüberflutete, energiegeladene, grenzenlose, alles miteinschließende Indien, das so vieles zulässt, was im Westen längst ausgeschlossen wird. Andere Literaturfreaks, so etwa Hermann Hesse, schufen mit Siddharta und weiteren Werken Weltliteratur und schrieben ihre Liebe für dieses Land für alle Ewigkeit auf Papier nieder.
So ist Indien, ein mittlerweile 1,350 Milliarden Menschen umfassendes Konglomerat, ein Schmelztiegel der Völker, die sich in 180 Sprachen unterhalten, ein zum Teil grausames Kastensystem aufgebaut haben, – das mittlerweile von der Regierung längst verboten -, doch kaum auszumerzen ist, und einem kunterbunten Mischmasch von Religionen, die im Hinduismus, Buddhismus, Moslem und einer Minderheit von Christen gipfeln und mehr oder weniger friedlich zusammen leben.
Ich selbst arbeite seit 1994 in Südindien/Tamil Nadu an verschiedenen Projekten, darunter einer Schule samt Heim für gehörlose Kinder. Mit Hilfe der Südtiroler Landesregierung konnte dieses wunderbare Projekt aus dem sprichwörtlichen Boden gestampft werden und es beherbergt heute rund 70 Kinder. Nun hat es das Schicksal es gewollt, dass ich für Tsunamiopfer etwas tun sollte und so habe ich mich nach Kerala begeben, das Tamil Nadu direkt gegenüber liegt. In der Nähe der Stadt Cochin, in der die rund 400.000 Menschen herumwimmeln wie die Ameisen, liegt das Projekt „Waisenheim“. Nadja Tribus aus Meran, sie ist Studentin der Völkerkunde, lebte und arbeitete bereits seit Monaten dort, und so waren wir in den letzten Monaten dauernd in Kontakt.
Mehrere Betriebe und Privatpersonen haben im Frühjahr in Algund unter der Leitung von Richard Sigmund vom Chor- und Konzertverein Meran, eine Benefizgala organisiert und unter dem Motto „Südtirol hilft“ kamen insgesamt 30.000 Euro zusammen. Das Geld wurde für den Ausbau eines Waisenheim in Sri Lanka und den Neubau jenes in Cochin (17.500 Euro) verwendet. Mir selbst überreichten die Kaufleute von Meran die großzügige Summe von 5000 Euro, die sie anlässlich ihrer Silvesterfeier gesammelt hatten. Eine weitere, kleine Summe von Privatspendern bildete somit eine solide Basis.
In Kerala trafen wir auf Nadja Tribus, Pater Antony, einem als resolut und progressiv bekannten Franziskaner, der unser Ansprechpartner für das künftige Waisenheim sein wird und Sister Mary, die ein Heim samt Schule betreut. Diese Sister Mary beeindruckte mich ob ihres Humors und ihrer direkten Art, die stets in phänomenale Taten gipfelte. Zudem ist sie sehr gut mit den europäischen, ja italienischen Gepflogenheiten vertraut; immerhin hat sie zwölf Jahre lang in Italien gelebt und studiert und spricht ein fließendes Italienisch. Ansonsten ist die Amtssprache Englisch.
Wir waren sehr überrascht, wie weit der Bau des neuen Waisenheims bereits fortgeschritten war. Tag und Nacht arbeiten Frauen (ja Frauen) und Männer am Bau, denn die Einweihung soll bereits am Geburtstag des Heiligen Franz von Assisi stattfinden und der ist bekanntlich am 4. Oktober. Insgesamt 24 Waisenkinder, sie stammen zum Teil aus Kollam, jenem Küstengebiet in Kerala, in dem der Tsunami seine besonderen Schrecken hinterließ und Zehntausend Tote forderte, und aus der Umgebung von Cochin. Momentan „hausen“ elf Kinder in einer alten Baracke.
Ihre neue Bleibe befindet sich an einem wunderschönen Ort, der von Bananenstauden, reichlich exotischen Pflanzen und hochstämmigen Palmen gesäumt ist und etwas außerhalb der Stadt, doch aber in der Nähe einer Schule liegt. Insgesamt 350 Quadratmeter Wohnfläche wird den Kindern und Betreuern am Ende zur Verfügung stehen, dazu gehört ein großer Garten zum Spielen und sich Austoben.
Wir konnten uns davon überzeugen, das Geld in gute Hände zu übergeben. Doch Sister Mary überbrachte uns auch Horrormeldungen. „Es sind so viele offizielle Gelder, die von westlichen Regierungen an unsere Regierung geflossen sind, einfach versandet, verschwunden“, sagte sie. In Tamil Nadu habe man eine riesige Halle aufgebaut und dort als Rechtfertigung Hunderte Familien hineingepfercht, der Rest der immensen Summe sei nicht mehr auffindbar. In den Brieftaschen der Minister und Politiker wäre sie wohl geflossen, so vermutet man in Indien. Eine grauenvolle Vorstellung. Wir sind sehr froh, uns hier hautnah über konkrete Fortschritte überzeugen zu können.
Uns ist bewusst, dass all diese Aktionen nur Tropfen im Meer sind, doch auch Tropfen im Meer können Wellen schlagen. Uns ist auch bewusst, dass wir in Indien sehr viel von den Menschen lernen können, viel, viel mehr, als sie von uns mitbekommen. Mitbekommen haben die Inder indes leider auch viele „Bequemlichkeiten“ der westlichen Welt. Die Umweltverschmutzung ist enorm, Vor Jahrzehnten wurde die Bevölkerung von den Neuheiten des Westens überrollt: Plötzlich gab es Plastik, Glas, alle möglichen Verpackungen, die sie bis dato nicht kannte. Nun ziert dieser Unrat, der achtlos in die Gegend gesät wird, alle Straßen und Strände, jede Gasse, einfach alles. Die Natur kann diese Art von Dreck nicht allein entsorgen, auch Schweröle, Metalle, Blech, etc. werden achtlos in Flüsse und im Meer „entsorgt“.
Das Frauen- und Witwenprojekt
(cl) Sister Mary stellte uns eine junge Witwe vor, die vor zehn Monaten ihren Mann durch einen Rattenbiss verloren hat. Nun steht die junge Frau mit ihrem Kleinkind völlig mittellos da. Eine fatale Situation, und durch die unselige Regelung der Mitgift, wo Eltern von Mädchen oft Unsummen an die Eltern des Bräutigams übergeben müssen, noch verstärkt. Abgesehen davon, dass in Indien Frauen ohne Mann auch heute noch kaum einen Stellenwert besitzen und auf sich allein gestellt selten überlebensfähig sind. Sie werden von der Gesellschaft nicht akzeptiert und behandelt wie Aussätzige. So musste die junge Rolfi neben ihrem großen Schmerz, auch noch zurück in die Abhängigkeit ihrer Eltern, die sie und ihr Kind nun trotz Mitgiftzahlung weiter „durchfüttern“ müssen. Patenschaften für Rolfi sind deshalb herzlich willkommen. Es handelt sich um eine Summe von etwa 500 Euro jährlich für Rolfi und ihr Kind. Frauen- und Witwen wie Rolfi gibt es in Indien Tausende. Wir wollen eine Anlaufstelle für Frauen in Not schaffen, in der sie längerfristig betreut werden können, um sich dann ein eigenes Leben aufzubauen. In Nordindien gibt es bereits Frauenprojekte, in Südindien sind sie leider noch sehr spärlich gesät.
Spenden für die Kinder oder die Frauen werden gerne entgegengenommen:
Volksbank Naturns- Stichwort Indien:
c/c –1063799 ABI: 5856 CAB: 58630.
Infos gibt es bei: Christine Losso